Kapitäns- und Fischerhäuser
In vielen einstmals stillen Fischerdörfern an der Ostseeküste schnappen längst mehr flanierende Sonnenanbeter als frischgefangene Heringe nach Luft. Und die heutigen Bewohner der Kapitänshäuser schippern auch nicht mehr über die Weltmeere, sondern bewirten weit gereiste Urlaubsgäste. Dennoch konnten die Fischer- und Seefahrerorte von einst ihren ursprünglichen Charme größtenteils bewahren.

So verbirgt sich hinter bienenumschwärmten Zäunen aus Malven, Rosen und Geißblatt so manche Postkartenschönheit. Schilfgedeckte Fischerkaten und geduckte Büdnerhäuser kuscheln sich zwischen die Blumen- und Gemüsebeete idyllischer Bauerngärten. Besonders malerische Exemplare finden sich auf der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst. Im Schutz der Dünen und der stillen Boddenufer trotzen sie oft seit Jahrhunderten Wind und Wetter. Mit ihren kleinen Sprossenfenstern und weit heruntergezogenen Schilfmützen, den typischen Krüppelwalmdächern, bieten sie Sturm, Regen und Kälte die Stirn.

Kluge Bauherren und geschickte Handwerker besinnen sich längst wieder auf die traditionelle und ökologisch sinnvolle Bauweise. Und warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute wächst so nah? Schließlich ist das Schilfrohr für die Dächer ein Geschenk von Mutter Natur. An den Boddengewässern und den Ufern zahlloser Seen wuchert es im Überfluss. Dieses natürliche Material verleiht jedem Haus ein ganz individuelles und lebendiges Gesicht. Im neuen Zustand leuchten Schilfdächer warm und goldbraun wie frisches Stroh. Mit der Zeit dunkeln sie nach und später ergrauen sie in Ehren. Manche Veteranen schlummern gar unter einer dicken Moosschicht.

Schon vor etwa 120 Jahren waren naturverliebte Maler von der herben Schönheit der Halbinsel Fischland-Darß-Zingst fasziniert. Von weit her reisten sie an und gründeten im verschlafenen Fischerdorf Ahrenshoop eine Künstlerkolonie. Begeistert von der Ursprünglichkeit der windschiefen Fischer- und Büdnerkaten zogen sie hier mit Pinsel und Palette ein. Den Malern folgten Literaten und Kunsthandwerker. Viele ihrer Häuser und Werkstätten haben die Zeit unbeschadet überdauert und trugen so zur Bewahrung der Idylle bei.

Oftmals ziehen schon die außergewöhnlichen Hauseingänge alle Blicke auf sich. Die reich geschnitzten und bunt bemalten »Darßer Türen« gelten als Meisterwerke alter Handwerkskunst. Fast alle zeigen Symbole zum Schutz vor Blitzschlag, Feuer oder Zauberei. Dabei kennt jeder Ort auf der Halbinsel seine ganz eigenen Besonderheiten. Neben Tulpensträußen und Blüten sind Sonnenmotive sehr beliebt. Bis Anfang der 1930er Jahre trugen die Türen fast immer einen rotbraunen oder dunkelgrünen Anstrich. Das waren meist die Reste der Farben, mit denen auch die Schiffe gestrichen wurden. Dem fantasievollen Maler Theodor Schultze-Jasmer schließlich verdanken wir die leuchtenden Farben. Er war es, der im Jahre 1931 dem Bürgermeister von Prerow empfahl, den geschnitzten Eingang für das neue Amtshaus in regionaltypischen Tönen zu streichen: sand- und sonnengelb, dunkelblau und wolkenweiß, holzbraun, waldgrün und klatschmohnrot. Dies gefiel den Einheimischen zwischen Wustrow und Zingst derart gut, dass auch sie schon bald ihre Türen mit prächtigen Anstrichen versahen.

Ebenso reizend wie die liebevoll restaurierten Fischerkaten sind die kleinen, aber feinen Kapitänshäuser in einigen Küstenorten. Besonders im 19. Jahrhundert bildeten die farbenfrohen Bauten gänzlich neue Straßenzüge. Statt Fachwerk und Schilf kamen nun Ziegelsteine und Biberschwänze zum Einsatz. Und die deutlich größeren Fenster ließen endlich Sonne in die gemütlichen Zimmer. In Wustrow auf dem Fischland künden die hübsch bemalten und überaus heiteren Bauten von der Blütezeit des Ortes in der goldenen Ära der Segelschiffe. Ein Großteil der Männer fuhr damals zur See – wenn nicht als Kapitän, dann als Steuermann, Schiffsjunge und Smutje oder eben als Fischer direkt vor der Haustür. In den anderen Dörfern der Halbinsel verhielt es sich kaum anders. So lebten 1880 in Zingst 80 Kapitäne, die sogenannten Schiffer, und mindestens doppelt so viele Seeleute. Die 1846 gegründete  »Großherzogliche mecklenburgische Navigationsschule« in Wustrow genoss einen hervorragenden Ruf. Ihre Absolventen – erstklassig ausgebildete Kapitäne und Nautiker – waren auch im Ausland sehr begehrt. Schnell brachte es der Ort zu ansehnlichem Wohlstand.

Besonders schöne Paradebeispiele der Kapitänshäuser gibt es beispielsweise auch am Alten Strom in Warnemünde, einer der beliebtesten Bummelmeilen an der Ostseeküste. Wo sich früher sturmerprobte Seebären von langen Ozeanfahrten erholten, haben sich längst Souvenirläden, Boutiquen und Restaurants eingerichtet. Sehr zur Freude der staunenden Urlaubsgäste, die einen Urlaubstag gerne mit einem lauschigen Spaziergang am Alten Strom ausklingen lassen.



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